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Archives - Press Room

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„Deutschland und Kanada –
Bundestreue im Zeitalter der Globalisierung"

Notizen für eine Rede
des kanadischen Ministers Stéphane Dion,
Präsident des Geheimen Rates und
Minister für Bund-Länderangelegenheiten

vor den Mitgliedern der
Atlantik-Brücke

in Feldafing (Bundesrepublik Deutschland)

am 28. Oktober 2001

Maßgebend ist die gehaltene Rede


          Da unsere beiden Amtssprachen Englisch und Französisch einen großen Teil der kanadischen Geschichte widerspiegeln, neigen viele von uns Kanadiern dazu, Europa aus der Perspektive Großbritanniens und Frankreichs zu sehen. Es liegt jedoch zunehmend in unserem Interesse, unserem Europabild die deutsche Dimension hinzuzufügen. Ich bin jedenfalls hiervon fest überzeugt, genau wie Sie, verehrte Mitglieder der Atlantik-Brücke. Das ist noch ein Grund mehr, weshalb ich mich freue, heute bei Ihnen Gast zu sein.

          Die Bundesrepublik Deutschland, drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, weltweit der größte Direktinvestor, was die Nettoausgaben betrifft, und Wirtschaftsmotor in Europa, ist der sechstgrößte Handelspartner Kanadas, in Bezug sowohl auf den Handel als auch Investitionen. Kanada ist einer der bedeutendsten Investoren und Arbeitgeber in den Neuen Bundesländern, insbesondere mit Bombardier im Bereich der Schienenfahrzeuge. Der bilaterale Handel und gegenseitige Investitionen in unseren beiden Ländern sind dabei, sich stark auszuweiten.

          Auf politischer Ebene, vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse des 11. September, ist die Stärkung unserer Beziehungen und unserer Freundschaft unbedingt erforderlich. Bundeskanzler Schröder äußerte sich in seiner Regierungserklärung am 11. Oktober dieses Jahres wie folgt, und ich zitiere: `Wir haben uns in einer neuen Weise der internationalen Verantwortung zu stellen, einer Verantwortung, die unserer Rolle als wichtiger europäischer und transatlantischer Partner, aber auch als starke Demokratie und starke Volkswirtschaft im Herzen Europas entspricht.A Der Kanzler fuhr fort: `Gerade wir Deutschen (Y) haben nun auch eine Verpflichtung, unserer neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden." Die kanadische Regierung begrüßt diese Regierungserklärung des Kanzlers und sieht darin einen weiteren Grund für eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern.

          Der deutsch-kanadische Austausch nimmt in allen Bereichen zu, insbesondere in den Bereichen der Naturwissenschaften, der Technologie, der Kultur und des Bildungs- und Schulwesens, wie die herausragenden kanadischen Persönlichkeiten zeigen, die letzte Woche im Rahmen des Staatsbesuches unserer Generalgouverneurin Adrienne Clarkson Teil der Delegation waren.

          Kanada interessiert sich zunehmend für Deutschland, und ich merke, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Neben den Vereinigten Staaten findet man das reichhaltigste Angebot im Bereich der Kanada-Studien in Deutschland.

          Einer der Gründe, die dafür sprechen, dass ein besseres Verständnis im gegenseitigen Interesse beider Länder liegt, ist die Tatsache, dass Deutschland und Kanada sich für eine föderative Regierungsform entschieden haben. Diese Eigenschaft, die wir gemeinsam haben, berührt direkt mein Ressort. Als für die Beziehungen zwischen der Bundes- und den Provinzregierungen zuständiger Minister habe ich die Aufgabe, das reibungslose Funktionieren unseres Bundesstaates sicherzustellen und Premierminister Jean Chrétien und die kanadische Regierung dabei zu unterstützen, möglichst produktive Beziehungen zu den Regierungen unserer zehn Provinzen und drei Territorien zu unterhalten.

          Deutschland und Kanada sind zwei moderne Bundesstaaten, die sich an die Rahmenbedingungen der Globalisierung anpassen müssen. Aus der Perspektive eines Bundesstaates wird dieser Kontext durch zwei wesentliche Merkmale geprägt. Erstens gewinnt der Außenhandel gegenüber dem Handel zwischen einzelnen Bundesländern bzw. Provinzen ständig an Bedeutung. Zweitens unterzeichnen unsere beiden Länder internationale Abkommen, die zunehmend die Kompetenzen unserer Provinzen bzw. Bundesländer in vielen Bereichen wie Wirtschaft, Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Kultur, etc. berühren.

I          ch weiß, dass diese Entwicklung in Deutschland diskutiert wird. Neuregelungen in den Beziehungen zwischen den Regierungen von Bund und Ländern wurden fällig. Ich verfolge voller Interesse die Entwicklung der Bundesrepublik, will mir jedoch keineswegs anmaßen, Ihnen zu erläutern, was in Ihrem eigenen Land geschieht. Ich möchte Ihnen viel lieber den kanadischen Bundesstaat auf eine Weise beschreiben, die meiner Ansicht nach für Sie relevant ist.

          In Kanada hatten einige prophezeit, dass die wachsende Bedeutung des Außenhandels und internationaler Richtlinien eine „Zentrifugalkraft" zur Folge hätte, wodurch es immer schwieriger würde, den Zusammenhalt unseres Bundes aufrecht zu erhalten. In solchen Kreisen war man der Meinung, dass die Regierung des Bundes und die Regierungen der Provinzen sich immer weniger würden abstimmen können und dass das Zugehörigkeitsgefühl der Bürger sich zunehmend auf die jeweilige Provinz statt Kanada als Ganzes erstrecken würde.

          Dies ist aber nicht geschehen. Im Gegenteil, die Allgegenwart internationaler Themen haben den Kanadiern die Bedeutung des nationalen Zusammenhalts deutlich gemacht. Die Regierungen von Bund, Provinzen und Territorien haben begriffen, dass es trotz der weiterhin bestehenden, völlig normalen Meinungsverschiedenheiten in ihrem eigenen Interesse liegt, unter Achtung der jeweiligen Zuständigkeiten zusammenzuarbeiten.

          Genau dieses möchte ich Ihnen heute deutlich machen. Hierbei werde ich zunächst auf die Unterschiede zwischen dem deutschen Bundesstaat im europäischen Umfeld und dem kanadischen Bundesstaat im Kontext der NAFTA eingehen. Anschließend werde ich über die Solidarität unter den Kanadiern und zwischen unseren beiden Regierungsebenen sprechen.

1. Die deutschen und kanadischen Bundesstaaten im Zeitalter der Globalisierung: einige Unterschiede im jeweiligen Kontext

          Das deutsche Föderalismus-Modell weist eine wesentlich engere Verflechtung als das kanadische auf. In der Tat ist es häufig schwierig, die Zuständigkeitsbereiche Ihrer Bundes- und Landesregierungen auseinander zu halten. In Kanada ist die Kompetenzverteilung im Allgemeinen klarer abgegrenzt. Dies hat zwei Gründe. Erstens sieht das deutsche Grundgesetz allein 26 konkurrierende Zuständigkeiten vor, sowie sieben Bereiche, in denen der deutsche Bundestag Rahmengesetze erstellen kann, die einen Erlass übereinstimmender Gesetze in den Ländern erfordern. Unsere Verfassung dagegen sieht nur drei konkurrierende Zuständigkeitsbereiche vor, davon zwei, in denen Bundesrecht Vorrang hat (Einwanderung und Landwirtschaft), und einen, in dem Provinzrecht Vorrang hat (die Rentenversicherung). Zweitens sieht unsere Verfassung keine Institution vor, die dem deutschen Bundesrat entspräche. Die Provinzen sind nicht verfassungmäßig im kanadischen Parlament vertreten.

          Daraus folgt, dass unsere Provinzen wesentlich weiter reichende ausschließliche Kompetenzen als Ihre Länder haben. Die deutschen Bundesländer haben dagegen einen wesentlich stärkeren Einfluss auf Bundesebene und folglich auf das Handeln der Bundesregierung. Ihr föderatives Modell basiert auf einer Fusion der Kompetenzen: Die deutschen Länder üben ihre Kompetenzen innerhalb der Institutionen des Bundes aus, während das kanadische Modell sich auf eine Verteilung der Kompetenzen stützt: unsere Provinzen sind gegenüber der Bundesregierung stark, und sie verteidigen stets ihre Autonomie bei der Gesetzgebung sowie bei der Haushalts- und Steuerpolitik. Der Unterschied zwischen diesen beiden Modellen zeigt sich auf mehrerlei Weise:

Im Bereich der Gesetzgebung: In der Regel wenden unsere Provinzen ihre eigenen Gesetze an und nicht die des Bundes, auf die sie ohnehin keinen direkten Einfluss haben. In Deutschland besteht ein Großteil der Aktivitäten der Länder in der Implementierung der Bundesgesetze. Ihre Länder wenden jene Gesetze an, an deren Gestaltung sie durch ihre Vertretung im Bundesrat mitgewirkt haben.

Im Bereich der Haushaltspolitik: Die Gelder, die unsere Provinzen von der kanadischen Bundesregierung erhalten, sind an sehr wenige Bedingungen gebunden B weniger als in Deutschland und wesentlich weniger als in den USA.

Im Bereich der Steuerpolitik: Unsere Provinzen haben volle Entscheidungsfreiheit bei der Festlegung ihrer Steuersätze, Ihre Bundesländer jedoch nicht. Bei Ihnen sind steuerliche Veranlagung, Steuersätze und die jeweiligen Anteile der Länder, Gemeinden und der Bundesregierung in der Bundesgesetzgebung festgelegt. Allerdings werden diese Gesetze mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet.

          Da es in Kanada kein parlamentarisches Forum für institutionalisierte Beziehungen zwischen den beiden Regierungsebenen gibt, wird das Zusammenwirken von Bund und Provinzen fast ausschließlich durch die Exekutive sichergestellt: die Premierminister und Minister von Bund und Provinzen treffen sich regelmäßig zu Koordinationszwecken. Sie beraten und informieren sich über Gesetzesinitiativen sowie sonstige Schritte, die sie zu unternehmen gedenken.

          Unsere beiden Föderalismusmodelle spiegeln unsere unterschiedlichen politischen Kulturen wider. So sind sich die Parteisysteme in Deutschland auf beiden Regierungsebenen weitgehend ähnlich, während die politische Landschaft in Kanada eher fragmentiert ist. So haben beispielsweise die liberale Partei auf Bundesebene und die liberale Partei der Provinz Québec, obwohl sie Verbündete sind, keine institutionelle Verbindung zueinander. Ähnlich wäre Ihr zentralisiertes Gewerkschaftssystem bei uns völlig undenkbar. Es wäre in Kanada nicht vorstellbar, dass Status und Arbeitsbedingungen unserer Provinz- und Gemeindebeamten mit den in den Rahmengesetzen des Bundes festgelegten Regelungen übereinzustimmen hätten.

          So wie die Verflechtung in Ihrem föderalen System viel enger ist als bei uns, so ist dies auch der unmittelbare internationale Rahmen der Bundesrepublik. Während die NAFTA nur ein Handelsabkommen ist, ohne Parlament, Ministerrat, Zentralbank oder gemeinsame Währung, gehen die in allen Ländern der Europäischen Union gültigen Vorschriften der Europäischen Kommission in mancher Hinsicht weiter als die gültigen Bundesgesetze in den kanadischen Provinzen. Dies macht deutlich, wie unterschiedlich die bestehenden Kontexte sind.

          Nordamerika ist nicht Europa und wird niemals eine der EU ähnliche Union werden, auch wenn manche bei uns die Zukunft anders sehen. Die Rahmenbedingungen sind zu unterschiedlich. Der Hauptunterschied hat mit dem Gewicht der Vereinigten Staaten zu tun, auf die 68 % der nordamerikanischen Bevölkerung sowie 86 % der nordamerikanischen Wirtschaft entfallen. Auf Deutschland, das größte Land der Europäischen Union, entfallen dagegen lediglich 22 % der Bevölkerung und 25 % der Wirtschaft Europas. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass die Europäische Union mit ihren Institutionen niemals funktionieren könnte, wenn ein Mitglied bedeutender wäre als alle anderen zusammengenommen.

          Die Deutschen erwägen den weiteren Ausbau Europas in einem Kontext, in dem u.a. die Bildung einer europäischen Föderation zur Diskussion steht, etwas was ihre deutsche Identität in keiner Weise untergräbt. Wir Kanadier wollen mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten, ohne jedoch im US-amerikanischen Schmelztiegel aufzugehen. Wir verstärken den Handel mit dem dritten NAFTA-Partner Mexiko und arbeiten aktiv an der Verwirklichung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA).

2. Die Solidarität der Kanadier

          Auch wenn die Verflechtung der NAFTA weit weniger fortgeschritten ist als die der Europäischen Union, so bleibt doch die Tatsache, dass die nordamerikanische Freihandelszone erheblich zur Expansion unseres Außenhandels beigetragen hat. 1990 betrugen die weltweiten Exporte unseres Landes den Gegenwert von 22 % des kanadischen BIP. Bis zum Jahr 2000 war dieser Wert auf 40 % gestiegen. Das Volumen unserer Importe hat in vergleichbarem Maße zugenommen.

          Nehmen wir das Beispiel Ontario, die bevölkerungsreichste und am stärksten industrialisierte Provinz Kanadas. 1981 exportierte Ontario etwas mehr in andere kanadische Provinzen als ins Ausland. Bereits 1994 führte Ontario jedoch doppelt so viel ins Ausland aus wie in andere Provinzen.

          Folglich ist unser Handel zunehmend exportorientiert. Die meisten Ausfuhren gehen in die USA. Wie bereits erwähnt, sind manche der Ansicht, dass dieser strukturelle Wandel unserer Wirtschaft den Zusammenhalt unseres Bundesstaates ins Wanken bringt.

          Das stimmt aber nicht. Die Solidarität der Kanadier untereinander ist so stark wie eh und je. Bei Erhebungen geben stets durchschnittlich rund 80 % der Befragten an, dass sie sehr an ihrem Lande hängen. Von einem Rückgang in dieser Hinsicht ist nichts zu spüren.

          In den letzten beiden Jahrzehnten war Ontario von allen zehn kanadischen Provinzen diejenige mit dem stärksten Ausfuhrzuwachs bezogen auf das BIP. Diese Zunahme des Außenhandels hat dem Gefühl der Zugehörigkeit zu Kanada jedoch keinen Abbruch getan. Die Umfragen bestätigen es: Sehr viele Bewohner Ontarios sehen sich in erster Linie als Bürger Kanadas und weniger als Bürger ihrer Provinz. Ontario ist nach Alberta die kanadische Provinz, in der die Aussicht auf einen Anschluss an die USA auf den stärksten Widerstand in der Bevölkerung stößt.

          Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist die gegenwärtige Provinzregierung in Québec separatistisch. Eines ihrer Lieblingsargumente lautet, dass die kanadische Föderation im Zeitalter der Globalisierung für Québec überflüssig, ja sogar schädlich sei. Die Québecker stimmen jedoch hiermit nicht überein. Bei einer kürzlich durchgeführten Umfrage2 wurden die Teilnehmer gefragt, welcher der folgenden beiden Aussagen sie eher zustimmen würden: `Ein vereintes Kanada ist den Herausforderungen der Globalisierung besser gewachsenA oder `Ein unabhängiges Québec kann sich besser gegen die Globalisierung schützen". Fast zwei Drittel aller Befragten (64 %) entschieden sich für die erste und nur 23 % für die zweite Aussage. Übrigens wünschen die Québecker zunehmend, dass Québec eine kanadische Provinz bleibt und lehnen eine Trennung von Kanada ab.

          Ein weiteres Zeichen für die ungebrochene Solidarität der Kanadier sind die Ausgleichszahlungen, welche die kanadische Regierung an weniger wohlhabende Provinzen leistet, d.h. Provinzen, deren Steueraufkommen unter dem nationalen Durchschnitt liegt. Wie auch in Deutschland ist dieser konkrete Ausdruck der bundesstaatlichen Solidarität in der Verfassung verankert. Bei uns erfolgen die Ausgleichszahlungen jedoch ausschließlich durch die Bundesregierung. Weniger wohlhabende Provinzen erhalten keine direkten Zahlungen von den reicheren Provinzen, wie dies beim deutschen Länderfinanzausgleich der Fall ist. In Kanada übernimmt die Bundesregierung die Verantwortung dafür, dass keine Provinz ein wesentlich niedrigeres Steueraufkommen als die anderen hat. Zur Zeit ermöglicht dieses Programm allen Provinzen, stets über ein Steueraufkommen in der Höhe von mindestens 95 % des nationalen Durchschnitts zu verfügen.

          Beim kanadischen Finanzausgleich geht es allerdings um erhebliche Summen: Durchschnittlich liegen die Beträge bei etwas mehr als 1% des nationalen BIP. Ein wachsender Anteil des Haushalts für Programme der Bundesregierung – 9 % im Vergleich zu 7 % vor 10 Jahren – wird für Ausgleichszahlungen aufgewendet. Drei von zehn Provinzen erhalten keine Ausgleichszahlungen: Alberta, Ontario und British Columbia. Die Ausgleichszahlungen der Bundesregierung werden zu einem großen Teil von den Bewohnern dieser Provinzen finanziert. In diesen Provinzen leben 61 % der kanadischen Bevölkerung. Dies entspricht in etwa dem Einwohneranteil (66 %), der auf die fünf deutschen Bundesländer entfällt, die zu einem großen Teil die direkten Ausgleichszahlungen in der Bundesrepublik finanzieren.

          Natürlich verursachen die Ausgleichszahlungen so manche Debatte. In Ihrem Lande wurde diese Debatte durch den Umfang der Zahlungen für den Wiederaufbau der Neuen Länder und sicherlich auch durch den deutschen Beitrag zur EU noch verschärft. Aber auch bei uns führen diese Zahlungen regelmäßig zu Diskussionen. Einige Wirtschaftsexperten sind der Meinung, dass diejenigen Provinzen, die Ausgleichszahlungen empfangen, in einem Zustand ungesunder Abhängigkeit gehalten würden, die einer guten Haushaltsführung abträglich sei. Die Empfänger-Provinzen möchten, dass die Ausgleichszahlungen erhöht werden oder dass ein Teil ihrer Steuereinnahmen bei der Festlegung der Zahlungen nicht angerechnet werden.

          Es bleibt jedoch anzumerken, dass Parteien aller Schattierungen sowie Kanadier in allen Regionen dieses Prinzip der Umverteilung zwischen den reicheren und weniger wohlhabenden Provinzen befürworten. Alle Umfragen bestätigen es.

          Insgesamt ist es um die Solidarität der Kanadier gut bestellt. Aber wie steht es um die Solidarität zwischen den kanadischen Regierungen?

3. Solidarität der Regierungen des kanadischen Bundes am Beispiel internationale Beziehungen

          Wie die Länder der Bundesrepublik Deutschland wollen auch unsere Provinzen eigene Strategien entwickeln, um sich besser auf Auslandsmärkten durchzusetzen. Und wie die deutschen Bundesländer möchten die kanadischen Provinzen ebenfalls ihre Rolle auf der internationalen Bühne klären, wo Abkommen ausgehandelt werden, die immer direkter ihre Zuständigkeiten berühren. Und ebenso wie in Deutschland ist unsere Bundesregierung darauf bedacht, weiterhin eine kohärente Außenpolitik zu vertreten, während sie zugleich bemüht ist, die Provinzen bei der Entfaltung ihres Potenzials zu unterstützen. Es liegt auf der Hand, dass ein Land ohne eine kohärente Außenpolitik überhaupt keine Außenpolitik hat. Bei uns kommt es bei der Ausarbeitung einer Außenhandelspolitik zu gelegentlichen Spannungen zwischen den einzelnen Regierungen, eine Dynamik, die Ihnen gewiss sowohl im Bund-Länder Bereich wie im europäischen Kontext nicht unbekannt sein wird.

          Die unerlässliche Zusammenarbeit zwischen der kanadischen Bundesregierung und den Provinzregierungen auf internationaler Ebene spiegelt sich in den verfassungsgemäßen Grundlagen wider. Zwar ist allein die Bundesregierung zur Unterzeichnung von Verträgen befugt, jedoch fehlt ihr die Durchführungskompetenz in den Bereichen, die in die Zuständigkeit der Provinzen fallen. Aus diesem Grund liegt es eindeutig im Interesse der Bundesregierung, vor der Unterzeichnung von Verträgen die Provinzen anzuhören. Die Bundesregierung scheut zudem keine Mühe, die Gestaltung und Wirksamkeit solcher Beratungen zu verbessern.

          Außerdem unterstützt die kanadische Regierung die Provinz- und Territorialregierungen auf vielfältige Weise dabei, sich verstärkt im Ausland in ihren Kompetenzbereichen zu profilieren, und zwar auf eine Weise, die zur Stärkung des Bundes beiträgt. Das Netz kanadischer diplomatischer Vertretungen wird regelmäßig zur Entsendung von Handelsmissionen unter Leitung von Premierministern bzw. Ministern der Provinzen genutzt. Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen der Provinzregierungen um die Einrichtung von Dienststellen im Ausland oder bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Vertreter in einer diplomatischen Vertretung Kanadas zu unterbringen. So wird derzeit über die Möglichkeit verhandelt, Büroräume für die Vertreter von zwei kanadischen Provinzen im kanadischen Konsulat in München einzurichten. Die kanadischen Provinzen haben rund fünfzig solcher Stellen und Vertreter in etwa vierzig Ländern. Allein die Regierung von Québec hat mehr als 35 Vertretungen in 24 Ländern. 1998 investierte Québec `mehr und hatte mehr Beamte im Ausland als alle fünfzig amerikanischen Bundesstaaten zusammengenommen." Ein besonders gelungenes Beispiel ist das Büro von Québec in München, das enge und produktive Beziehungen zwischen Bayern und Québec ermöglicht.

          Die Vertreter der Provinzregierungen reisen zudem mit kanadischen Delegationen zu internationalen Zusammenkünften, wie z.B. zu den vor kurzem veranstalteten Klimakonferenzen in Den Haag und Bonn. Und der Rat kanadischer Bildungsminister (der Provinzen) vertritt unser Land im Bildungsbereich bei internationalen Institutionen.

          Dazu gibt es noch Team Canada, eine 1994 von Premierminister Jean Chrétien ins Leben gerufene Idee. Ein Team Canada setzt sich aus dem kanadischen Premierminister und den Premierministern der Provinzen und Territorien sowie einer Delegation von Geschäftsleuten zusammen. Ein solches Team reist in ein Land oder eine Region der Welt, um kanadische Exporte aus allen Provinzen und Territorien zu fördern. Seit 1994 reisten insgesamt sieben Delegationen in mehrere Regionen der Welt, insbesondere Asien und Lateinamerika. Weitere Missionen sind geplant, davon einige auf dieser Seite des Atlantiks.

          Es gäbe noch viel mehr über die Zusammenarbeit des kanadischen Bundes und der Provinzen im außenpolitischen Bereich zu sagen. Ich glaube jedoch, den wesentlichen Aspekt hervorgehoben zu haben: Es ist durchaus wünschenswert, dass alle Regierungen des kanadischen Bundes trotz der unvermeidlichen Spannungen international die gleichen Ziele verfolgen, dass sie einen Zusammenhalt anstreben, der auf dem ganzen Potenzial eines vielfältigen Landes, dessen Stimme im Ausland sowohl glaubwürdig wie überzeugend klingt, aufbaut.

Schlusswort

          Ohne im Geringsten die Unterschiede zwischen unseren beiden föderativen Systemen oder deren jeweiligen Kontext in der NAFTA bzw. Europäischen Union herabzusetzen, habe ich Ihnen eine Realität geschildert, die bei uns zu Diskussionen führt und mit der Sie, so glaube ich zumindest, ebenfalls vertraut sind: Der Zusammenhang eines Bundes im Zeitalter der Globalisierung. Ich wollte zeigen, dass die „Zentrifugalkräfte", die sich vielleicht aufgrund der explosionsartigen Zunahme des Außenhandels und der Allgegenwart internationaler Probleme entwickelt haben, nicht im Geringsten den Zusammenhalt des kanadischen Volkes und seiner Föderation geschwächt haben.

          Ich würde in der Tat sogar behaupten, dass eher das Gegenteil zutrifft. Die Kanadier werden immer mehr der Tatsache gewahr, dass ihre Stärke in der Einheit liegt. Sie sehen deutlich, dass Kanada ein Land ist, das von der ganzen Welt respektiert wird, einen ausgezeichneten Ruf genießt und dem es gelungen ist, den Zusammenhalt des Landes mit einer atemberaubenden Vielfalt zu verbinden: Provinzen und Territorien, deren Stärken sich gegenseitig ergänzen, zwei Amtssprachen, die internationale Geltung haben, zwei Rechtssysteme – das Zivilrecht und das Gewohnheitsrecht –, die uns ermöglichen, uns über Rechtsfragen mit fast allen Ländern zu verständigen, eine geographische Lage, die uns Zugang nicht nur zum amerikanischen Kontinent, sondern zusätzlich auch noch zu Europa und Asien gewährt, sowie eine multikulturelle Bevölkerung, die uns Einfluss auf allen Kontinenten der Welt verschafft. Es ist uns zweifellos gelungen, aus unserer Vielfalt eine Stärke zu machen, auf die wir immer mehr werden zurückgreifen müssen.

          Ich blicke, wie Sie sehen, optimistisch in die Zukunft meines Landes. Unser Erfolg hängt jedoch von uns Kanadiern, ab, insbesondere von unserer Fähigkeit, den Grundsatz der Bundestreue in die Tat umzusetzen. Dieser Grundsatz war das Thema meiner heutigen Ansprache, ein Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht so treffend formuliert hat:

„Der im Bundesstaat geltende verfassungsrechtliche Grundsatz des Föderalismus enthält deshalb die Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu "bundesfreundlichem Verhalten"; d.h. alle an dem verfassungsrechtlichen "Bündnis" Beteiligten sind gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen"

          Bundestreue fordert von jedem Bundespartner, im In- wie im Ausland, an einer Konsolidierung des verfassungsmäßigen Bündnisses und der Förderung der Interessen aller – nicht nur ausschließlich seiner eigenen – zu arbeiten. Das ist der Schlüssel zum Erfolg an der Schwelle dieses neuen Jahrhunderts. Dieser Grundsatz der Bundestreue ist nicht nur deutsch, sondern universell, und gilt für alle Bundesstaaten der Welt. Für meine kanadischen Landsleute wünsche ich, dass alle Regierungen unseres Bundes diesem Grundsatz voll und ganz zustimmen mögen. Und in diesem Grundsatz sehe ich auch den klaren Beweis dafür, dass es für Kanada von Vorteil ist, sich noch besser mit Deutschland vertraut zu machen. Mögen unsere beiden Bundesstaaten noch lange bestehen.


Notes

  1. Aussage von Herrn Gerhard Schröder, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, vor dem Deutschen Bundestag, den 11. Oktober 2001.

  2. CROP, März 2001.

  3. Earl H. Fry, The Expanding role of State and Local Governments in U.S. Foreign Affairs, Council of Foreign Relations Press, New York, 1998, (141 Seiten), S. 77.

  4. Verfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland, Entscheidung 1, 299, 315, 1954.

 

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Last Modified: 2001-10-28  Important Notices